Oneirocritica

Traum und Traumarbeit während des Römischen Zeitalters

     Dass die Träume auch bei den Römern einen starken Einfluss auf das tägliche Leben hatten, kann man beim dank einem Traum erfolgte Feldzug Hannibals gegen Rom sehen (Woods & Greenhouse, 1974, p. 41). Es gab in dieser Zeit aber auch andere, welche den Träumen gelassener entgegensahen. Van de Castle erwähnt hier Lucretius (98 - 55 v. Chr.) und auch Cicero, welcher der Traumdeutung, vor allem dem seherischen Wert der Traumdeutung kritisch gegenüberstand. So soll Cicero bemerkt haben, dass verschiedene Traumdeuter auf widersprüchliche Deutungen zu den gleichen Träumen gekommen sind. So soll er geschrieben haben, dass: " Auch wenn es eine echte Trauminterpretation geben sollte, wird sie sicher nicht von denen ausgeübt, die solches angeben, denn diese Leute sind die tiefsten und ignorantesten im Volk" (Woods & Greenhouse, 1947, p. 199).

     Wenn man von den Träumen schreibt, muss man unbedingt auch von Artemidoros von Daldys und seiner im 2 Jahrhundert v. Chr. geschriebenen, 5 Bändigen Oneirokritika (Trauminterpretation) berichten. Ein über Jahrhunderte beliebtes Buch, eine griechische Version wurde 1518 in Venedig veröffentlicht, eine lateinische Version 1539 (Basel), und eine französische Version (Lyon) 1546 Die erste Englische Version wurde 1644 veröffentlicht und erreichte 24 Auflagen (Parker&Parker, 1985). Eine moderne von Robert White übersetzte Version wurde 1975 veröffentlicht und ist in der Bibliothek des Jung Instituts erhältlich). Van de Castle schrieb dazu " Es ist der einzige vollständig erhaltene Text von den in der Antike erwähnten 27 Büchern. Sein Umfang ist riesig und beinhaltet praktisch jeden Bereich des Träumens als ein Psychologisches Erleben (Van de Castle, 1994, p. 69).

     In Our Dreaming Mind veröffentlichte Van de Castle eine Übersicht über die Oneirokritika und fügte eine Bewertung hinzu, die aber zu lang ist, um sie hier wiederzugeben. Einige "Perlen" sind es aber wert, erwähnt zu werden. In Teil 52 von Buch 1 sagte Artemidorus "Alle Werkzeuge, die etwas entzwei schneiden, bedeuten Uneinigkeiten, Fraktionen und Verletzungen… Werkzeuge, die Oberflächen glätten, sagen ein Ende von Feindschaften voraus". In Teil 68 von Buch 2, wo es ums Fliegen geht, vertrat er die Auffassung "Am besten ist es aber, zu fliegen, wie es einem gefällt… und anzuhalten, wann es einem gefällt. Denn das bedeutet grosse Leichtigkeit und Kompetenzen in den Geschäften des Träumenden" (Van de Caslte, 1994, S. 67).

     Laut Van de Castle geht es in Buch 4 der Oneirokritika "vor allem um Anleitungen für seinen Sohn und dessen Rolle als Traumdeuter". Er schrieb: "Es soll auch als eine Art ‚Anleitung' für Deutungstechniken dienen. Der Traumdeuter muss ‚Identität, Beruf, Geburt, finanzielle Lage, Gesundheit und Alter des Träumenden' kennen und ‚dessen Gewohnheiten genau untersuchen'. Der Traumdeuter ‚sollte die lokalen Gebräuche und Eigenheiten jeden Ortes kennen', damit die Deutung darauf abgestimmt werden kann. Die innere Struktur des Traums muss ebenfalls beurteilt werden, um festzustellen, ob die Ereignisse plausibel oder bizarr, richtig miteinander verbunden und für den Träumenden üblich sind, bevor eine Deutung unterbreitet wird. Artemidorus riet seinem Sohn: ‚Du musst die systematisierte Ganzheit der Traumbilder in Betracht ziehen'". (Van de Castle, 1994, p. 68) -- ein Ratschlag, dem ich voll und ganz zustimme.

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